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von Niklas
Mrs Van Mason hatte
ihre Söhne an den Eßtisch gesetzt und musterte sie mit diesem
leidvollen Blick, den Eltern beim Betrachten ihrer Kinder haben, weil
sie sich nicht sicher zu sein scheinen, ob aus ihnen "jemals etwas
wird". Dieser Blick tat seine Wirkung insofern daß Sniv und
Jason so etwas wie ein schlechtes Gewissen bekamen und stillsitzend auf
ihre Mutter hörten. Dies sollte wohl so etwas wie ein Familienrat
werden. Die beiden Jungs hatten schlechte Erinnerungen an den Familienrat
früherer Tage, damals, vor der Scheidung, als ihr Vater noch dabei
war. Dort war es in diesen Gesprächen immer um Streitigkeiten gegangen,
daß dies oder jenes nie gemacht werde oder daß einer ja immer
Recht behalten müsse. Laut sind diese Gespräche immer geworden,
obwohl Sniv oder Jason kaum etwas zu sagen wußten.
Ihre Mutter holte tief Atem. "Kommt ihr zwei ein paar Tage lang allein
zurecht?"
Die Jungs machten große, unbewegte Augen. Man konnte sehen, wie
es dahinter werkelte, ob diese Frage noch eine bestimmte Ankündigung
nach sich ziehen müsse.
"Meine Tante Margret - Marge aus Southend, die kennt ihr doch - ist
im Krankenhaus. Seit ihr Mann tot ist, hat sie niemanden, der ihr helfen
könnte. Ich müßte nach dem Rechten sehen und mich um ihre
Wohnung kümmern." Mrs Van Mason schaute ihren Söhnen tief
ins Gewissen. "Ich denke, vier Tage brauche ich. Ab morgen."
Sie bemerkte ein reflexhaftes, kurzes Zucken, das durch die Mundwinkel
ihrer Söhne ging, und ein merkwürdiges Leuchten in ihren Augen.
Noch schienen die beiden sich nicht sicher, ob sie einen Jubelschrei unterdrücken
müßten, oder ob die ganze Freude vergeblich sein könnte.
"Ich muß doch keinen Babysitter mehr alarmieren, oder?"
fragte Mrs Van Mason mit etwas übertriebener Strenge.
Die beiden Jungs brauchten einige Augenblicke, um zu merken, daß
hier eine Antwort erforderlich war. Zögerlich, aber dann synchron,
schüttelten sie den Kopf. "Neeeeiiiinnn." sagten sie mit
dem Was-denkst-du-bloß-immer-von-uns-Gesicht.
"Ich habe mit Niklas' Mutter telefoniert. Ihr könnt zum Abendessen
zu den Edlunds gehen. Für alle anderen Mahlzeiten ist genügend
eingekauft. Selbst Brot habe ich auf Vorrat eingefroren, das könnt
ihr in der Mikrowelle auftauen." Sie hielt inne und betrachtete ihre
Söhne, als sei sie sich nun doch nicht mehr sicher, daß die
beiden sich nicht mit den Haushaltsgeräten gegenseitig umbringen
werden.
Jason bemerkte die Zweifel seiner Mutter und beeilte sich zu sagen: "Ist
schon okay. Ich weiß wie das geht. Wir werden nicht verhungern",
einen Seitenblick auf seinen Bruder werfend. Sniv wußte immer noch
nichts dazu zu sagen und schaute mit halboffenem Mund von seiner Mutter
zu seinem großen Bruder und zurück.
Mrs Van Mason seufzte entwaffnet. "Macht nicht so eine Unordnung!
Wenn ich wiederkomme und das Haus ist ein Schlachtfeld, lernt ihr mich
kennen, hört ihr? Haben wir uns verstanden?"
Kaum merkliches Kopfnicken. "Jaaa, Mom."
Später an diesem
Abend lagen Sniv und Jason wie üblich über die Sitzmöbel
verstreut vor dem Fernseher und schauten sich mit unbewegten Gesichtern
einen ziemlich langweiligen Cartoon an. Erst nach einiger Zeit drehte
sich Sniv zu seinem großen Bruder um. Der behielt versunken in das
Fernsehbild seinen Finger tief in der Nase, als müsse er dort irgendetwas
vor'm Rauslaufen bewahren. Erst als Sniv's Blick nicht von ihm zu lassen
schien, schaute er seinen Bruder an und fragte: "Was ist?"
Sniv schien erstmal abzuwarten, ob Jason nicht doch noch den Finger aus
seiner Nase nehmen würde. "Was machen wir morgen, wenn wir allein
sind?"
Endlich zog Jason den Finger heraus und besah sich die Spitze, murmelte
"Weiß nicht. Schlag was vor," und bearbeitete den Finger
nun mit den Schneidezähnen.
Sniv drehte sich auf den Rücken und starrte die Decke an. "Was
dürfen wir denn sonst nie machen?"
Stilles Nachdenken. "Eine ganze Schachtel Eiskrem auslöffeln",
nuschelte Jason an seinem Finger vorbei.
"Und dabei Cartoons kucken bis wir blöd werden." Sniv lächelte
selig hinauf zur Decke.
"Yeah!" Jason schien einverstanden mit dem Plan. Er widmete
sich wieder dem flimmernden Fernsehbild.
"Und Cola saufen bis tief in die Nacht!" Sniv schien weit mehr
bei der Sache zu sein als sein Bruder. Sein Gesicht begann von dem Gedanken
an die unendlichen Möglichkeiten einer sturmfreien Bude regelrecht
zu schimmern und zu glühen. Jason wurde dagegen offenbar nie das
Gefühl los, wenigstens ein bißchen verantwortlich für
seinen kleinen Bruder zu sein und ihn in seinem Untatendrang bremsen zu
müssen. Als Sniv hinzusetzte "und die anderen auch dazuholen",
brummte Jason "hey, schnapp' nicht über!"
Sniv fühlte sich bevormundet. "Wieso nicht? Das ist doch noch
viel besser wenn alle dabei sind."
"Wir haben nicht genug da, um eine ganze Party zu schmeißen."
Jason machte ein desinteressiertes Gesicht als ob für ihn eine Diskussion
darüber gar nicht in Frage käme.
Sein kleiner Bruder musterte ihn eine Weile, als ob er auf der Suche nach
einem schwachen Punkt an der lümmeligen Gestalt auf dem Sofa wäre.
Ganz unmerklich schlich sich eine gewisse Hinterhältigkeit in seine
Gesichtszüge. "Aber Jon könnte doch wenigstens kommen!"
Sniv wartete beobachtend ab, wie sein Bruder darauf reagieren würde.
Jason blickte etwas aus seiner stoischen Ruhe gebracht hin und her zwischen
dem Fernseher und Sniv's abwartendem Gesicht. Als dieses Gesicht auch
noch anfing, siegessicher zu grinsen, packte er ein Sofakissen und warf
es nach seinem Bruder. Sniv konnte sich noch gerade eben zur Seite drehen,
so daß das Kissen an seinem lockigen Haarschopf abprallte. Jason
setzte nach. Im nächsten Augenblick war er über der kleineren,
dünneren Gestalt seines Bruders und versuchte, sie in den Schwitzkasten
zu nehmen. Sniv zog die Beine an und igelte sich ein, so daß Jason
vergeblich nach seinem Kopf griff.
"Na, warte!" schnaufte Jason und nahm ein anderes Angriffsziel,
die Fußsohlen seines Bruders. Verführerisch leuchteten Sniv's
weiße Socken unter seinem Körperknäuel. Als Jason's Fingerspitzen
kaum merklich einer Spinne gleich darüberkrabbelten, ging ein unwillkürliches
Zucken durch den eingerollten kleinen Bruder. Dann ein vom Sofapolster
halb ersticktes Prusten. Sniv versuchte die Kitzelattacke strampelnd abzuwehren.
Jason's Finger wurde er dadurch nicht los, sie kitzelten alles, was sie
von ihrem strampelnden und sich windenden Bruder zu fassen bekamen.
Sniv bekam kaum noch Luft. "Mmmann, hör endlich auf!"
Jason hielt inne. Aus Sniv's Stimme war schon echte Atemnot zu hören,
sein Kopf war leuchtend rot. "Das war für den Versuch, mich
zu erpressen", rechtfertigte sich Jason.
"Wieso das denn?"
"Du weißt ganz genau, wieso."

Sniv setzte sich auf,
immer noch mit rot angelaufenem Gesicht. "Jon ist MEIN bester Freund.
Wir sind gleich alt und in der gleichen Klasse."
Jason machte sein unnachgiebiges Großer-Bruder-Gesicht. Seine Sommersprossen
erschienen roter als sonst. "Na und? Sind etwa alle in deiner Klasse
auch deine besten Freunde? Und warum sollte Jon nicht auch mein bester
Freund sein?"
Sniv verschränkte die Arme und zog etwas den Kopf ein wie er es immer
machte, wenn er gegen seinen großen Bruder argumentierte. "Und
was ist dann mit Niklas und Fabi? Die kennst du doch schon viel länger.
Jonathon war doch erst ein paar Mal hier." Sniv war sich sicher,
daß sein Bruder niemals so gut argumentierte wie er selber und deshalb
seine größere Stärke unfair einsetzen würde, sobald
er nicht mehr weiterwußte. Doch beim Thema 'Jon' erwies sich Jason
als unerwartet verletzlich.
"Darüber entscheidest du doch nicht, wer mein bester Freund
ist. Und wie lange man sich kennt hat damit auch nichts zu tun."
Jason's Stimme klang ungewohnt defensiv.
"Und warum sollen wir Jonathon nicht fragen, ob er herkommt wenn
wir allein sind?"
Vincent und Jason sahen sich eine ganze Weile in die Augen. In Sniv's
Blick lag Trotz und Rebellion gegen seinen großen Bruder, in Jason's
die Suche nach irgendeinem Vorwand, warum er Jon lieber treffen würde,
ohne daß Sniv dabei war. Mehr aus Reflex als aus dem Gefühl
heraus zwiebelte Jason schließlich den Oberarm seines Bruders.
"Aua", jammerte Sniv übertrieben laut und hielt sich den
Arm. Natürlich! Wieder gab es nur rohe Gewalt von seinem Bruder,
anstatt daß der einmal nur zugeben würde, daß ihm die
Argumente fehlten.
Mrs Van Mason's Kopf erschien im Durchgang zum Arbeitszimmer, wo sie über
einigen Rechnungen und Bankauszügen gesessen hatte. "Was streitet
ihr euch?"
Augenblicklich vergaßen die beiden Jungs ihre Meinungsverschiedenheit
und dachten nur noch daran, daß ihre Mutter es sich noch einmal
überlegen könnte, wenn sie sich nicht vertrugen. Mit Unschuldsgesichtern
schauten sie auf. "Nichts, Mom!" sagte Sniv.
"Wir sind uns schon einig, Mom", behauptete Jason.
Mit einem mahnenden Blick verschwand der Kopf wieder im Arbeitszimmer.
"Blödmann!" raunte Sniv seinen Bruder an.
"Heulsuse!" zischte Jason.
Es dauerte noch bis
lange nach dem Frühstück, bis Mrs Van Mason endlich ihr Gepäck
ins Auto trug und ihre beiden Söhne sich erwartungsvoll zum Abschiednehmen
in der Haustür aufbauen konnten. Sie holte tief Luft und besah sich
noch einmal ihre Sprößlinge. Beide waren ordentlich gekämmt,
Vincent trug sogar die Hausschuhe, die er immer nur mit Murren anzog.
Mrs Van Mason mußte laut lachen und schüttelte den Kopf. "Ihr
scheinheiligen Heuchler! Euch sollte man so fotografieren und an die Zeitung
schicken. Als Witz ohne Worte."
Sniv und Jason warteten mit unbewegter Miene. Nur ganz leicht war eine
gewisse Kränkung in ihren Gesichtern zu erkennen, daß ihre
Mutter so hartnäckig bezweifelte, sie könnten wirklich jemals
so brav sein.
Mrs Van Mason bemerkte dies und versuchte, ihre Söhne ernst zu nehmen
- etwas, was vielen Eltern nicht gelingt. Sie schlang die Arme um die
beiden und drückte sie an ihre Wangen. "Paßt auf euch
auf. Mehr verlange ich gar nicht", sagte sie leise und küßte
sie. Dann wandte sie sich um und stieg ins Auto. Als sie den Anlasser
betätigte, hielten die Jungs noch einmal kurz die Luft an. Ohne Probleme
sprang der Wagen an. Ihre Mutter winkte noch einmal kokett und fuhr dann
hinaus auf die Straße.
Sniv und Jason liefen zum Bürgersteig und sahen dem Wagen nach. Er
verschwand hinter der nächsten Kurve, und es wurde still in ihrer
Straße.
Sie waren jetzt richtig allein. Jason wollte Sniv jubelnd die Hände
abklatschen, aber sein kleiner Bruder wirkte irgendwie wehmütig.
Ein bißchen klamm stand Sniv in seinen Hausschuhen auf dem Bürgersteig
und schaute die stille Straße hinunter. 'Das darf doch nicht wahr
sein', dachte Jason, 'dieses Baby vermißt jetzt schon seine Mutti!'
"Mach dir bloß nicht in die Hose", wollte er sagen, merkte
dann aber, daß er damit den ganzen Tag verderben würde. Unschlüssig
wartete er bis Sniv sich von dem Blick die Straße hinunter löste,
und fragte dann stattdessen: "Womit fangen wir an?"
Sein kleiner Bruder musterte ihn kurz und schaute dann lausbübisch
drein.
Die
Türklingel schien völlig ungehört zu verhallen. Das war
auch kein Wunder bei dem wummernden Lärm, der durch die geschlossene
Haustür drang. Die geplagte Stereoanlage überdröhnte alle
Geräusche, die zu dem Anwesen der Van Mason's gehörten. Es war
trotzdem unmöglich zu sagen, welches Musikstück da eigentlich
aufgelegt worden war.
Niklas gab die Haustür auf und lief zu der schmalen Gartenpforte
neben der Garage, stellte sich auf die Zehenspitzen und spähte hinüber.
Im Garten war niemand zu sehen. Die Pforte war wie üblich nicht abgeschlossen.
Niklas drückte sie auf und ging in den Garten, hinter das Haus. Die
dröhnende Musik war hier noch deutlicher zu hören, sie kam einwandfrei
aus dem Wohnzimmer. Eine von Jason's Metallica-CDs, die er sonst nur auf
seinem Zimmer mit dezenter Lautstärke hören durfte. Niklas versuchte,
durch die Wohnzimmerfenster etwas zu sehen, aber es schienen die Vorhänge
zugezogen zu sein. Er schüttelte den Kopf, murmelte etwas von 'durchgedreht'
und probierte die Hintertür zur Küche. Sie war nur angelehnt.
Als Niklas die Küche betrat, schwoll der Metallica-Sound zum blechernen
Staccato an.
Auf dem Küchentisch stand ein 2-Liter-Vorratsbecher Eiskrem Erdbeer-Vanille
mit einem klebrigen Löffel und einem geschmolzenen Rest darin. Zwei
verkleisterte Teller in der Spüle sagten deutlich aus, welche beiden
Naschkatzen sich den ganzen Vorratsbecher einverleibt hatten. Eine fast
leere Colaflasche stand offen neben dem Kühlschrank. Kopfschüttelnd
ging Niklas weiter in die Diele.
Auch hier herrschte Unordnung. Hausschuhe lagen herum wie in die Ecke
geworfen, die Garderobe war zerwühlt, ein paar von Mrs Van Mason's
Halstüchern hingen über dem Treppengeländer. Aus einem
Spalt in der Wohnzimmertür drang Lichtschein, in etwa zum stampfenden
Takt der Musik flackernd. Unsicher schob sich Niklas durch die Tür.
Das Wohnzimmer war abgedunkelt, die Stereoanlage aufgedreht bis kurz vorm
Bersten. Eine von den beiden Gestalten dort knipste wild an mehreren verhängten
Tisch- und Stehlampen herum, um eine Art Lichtorgeleffekt zu erzielen.
Die andere Gestalt stand auf dem Couchtisch und mimte mit einem Tennisschläger
einen wilden Rockgitarristen. Beide hatten die Hemden ausgezogen, sich
Tücher als Stirnbänder umgebunden und mit Sonnenbrillen und
Modeschmuck-Anhängern ausstaffiert.
Der 'Gitarrist', offenbar Jason, zuckte zusammen, als er Niklas in der
Tür bemerkte. Er rief etwas, das aber bei dem Krach nicht zu verstehen
war. Niklas schaute nur ratlos.
Jason stieg vom Couchtisch hinunter und regelte die Musik leiser. Erst
jetzt bemerkte Sniv, was los war, und stoppte seine Lichtorgelei.
Jason nahm die Sonnenbrille ab. "Naa?" fragte er Niklas. Er
war schweißnaß, sein Gesicht und sein blanker Oberkörper
glänzten und sein Haar klebte strähnig an der Stirn. Um den
Hals baumelte ein buntes Emaille-Medallion seiner Mutter aus den 70er
Jahren.
"Na, du Rocker?" sagte Niklas und mußte im nächsten
Augenblick prustend lachen. "Was ist das denn?" Er zeigte auf
Jason's Oberarm. Mit Filzstift hatte Sniv dort eine 'Tätowierung'
aufgemalt, ein blutendes Herz mit einem Pfeil drin. Niklas lächelte
süßlich, "für wen steht das?"
"Wie, für wen steht das?" Jason hob den Arm an und besah
sich das Tattoo, als ob er etwas übersehen hätte.
"Na, sowas macht man sich doch, wenn man unsterblich verliebt ist.
So mit Initialen drunter. Also: J + wer?"
Sniv kam hinzu, dampfend vor Schweiß auch er. "Ich kann den
Stift holen und es drunterschreiben."
Niklas schaute Sniv an, "ja, 'J' und...?"
Jason schubste seinen Bruder, "nichts da, das ist für niemanden
bestimmtes. Als Rocker brauche ich eben ein Tattoo. Ich hab Sniv gesagt,
mal mir einen Totenkopf, aber er kann keinen."
"Ich kann wohl einen Totenkopf, der war dir bloß nicht gruselig
genug."
Niklas schwieg. Er stellte sich 'J+N' vor, auch wenn Jason das niemals
jemandem zeigen würde. Außer Fabi vielleicht. Oder Jonathon?
Ob Sniv vielleicht 'J+J' geschrieben hätte? Nein, Sniv betrachtete
mit Eifersucht, wie Jason seinen besten Freund für sich vereinnahmte.
Schließlich sagte Niklas: "Meine Mutter schickt mich. Ihr sollt
zum Abendessen zu uns wie vereinbart."
Sniv schaute an sich hinunter. Er hatte eine sehr alte, ausgewaschene
Jeans mit Löchern drin angezogen, die schon ein wenig zu klein war,
und sich Tücher um die Oberarme gebunden. "Ist es schon so spät?"
"Komm, wir ziehen uns noch um", sagte Jason und lief zur Treppe.
Niklas
war vertieft in Sniv's Anblick. Das Stirnband stand ihm erstaunlich gut
und in so einer knallengen Jeans hatte Niklas ihn noch nie gesehen. Sniv
bemerkte seinen Blick und wartete einen Moment. Niklas schaute auf und
fühlte sich leicht ertappt. "Tolle Verkleidung", stammelte
er.
Sniv sagte nichts und lächelte linkisch. Dann folgte er Jason die
Treppe hinauf.
Niklas sah hinterher. Wie beneidete er Sniv, einen großen Bruder
zu haben!
Während des Abendessens
erkundigte sich Mrs. Edlund, wie die beiden Brüder denn zurechtkämen.
Niklas hatte nichts von dem Chaos, das bereits im Hause Van Mason herrschte,
erzählt. Er bemühte sich, beim Essen still zu bleiben und nicht
zu lachen.
Jason und Vincent hatten sich flüchtig zurechtgemacht. Sie trugen
wieder ihre normale Kleidung, die verschwitzten Köpfe hatten sie
kurz unters Wasser gehalten und das nasse Haar mit einem Kamm in Form
gebracht. Trotzdem wirkten sie noch etwas außer Atem. Hastig verschlangen
sie, was Mrs. Edlund ihnen auf den Teller legte.
Niklas nibbelte dagegen nur unkonzentriert an seinem Essen. Ziemlich unruhig
rutschte er auf seinem Stuhl herum. Als für eine Weile Stille im
Gespräch herrschte, kam er endlich heraus mit einer Frage: "Mom,
kann ich nachher noch etwas mit Jason und Sniv rübergehen?"
Mrs. Edlund durchschaute ihren Sohn augenblicklich. "Oh, nein, ich
glaube es ist sogar das beste, ihr Kinder bleibt alle eine Weile hier."
"Aber Mom, wieso das denn?" Niklas fand es gräßlich,
wenn seine Eltern von 'den Kindern' redeten. 'Die Kinder', dazu konnte
man Tina und ihre Freundinnen zählen aber doch nicht große
Jungs wie ihn und Jason.
"Was wollt ihr denn drüben alleine? Unfug anstellen, nicht wahr?"
Tina sagte mit einem linkischen Blick auf ihren Bruder: "Ich weiß,
was die machen, wenn sie allein sind!"
Niklas sah seine kleine Schwester an. Es war überraschend, ja beinahe
erschreckend, wie seine sonst so verträumten blauen Augen plötzlich
finstere Rache androhen konnten, sollte Tina auch nur noch ein Wort verlieren.
Mit halboffenem Mund erstarrte das kleine Mädchen und schaute nur
noch auf ihre Gabel und ihr Rührei. Niklas' Blick verhieß wochenlange
Grausamkeiten, von versteckten Puppensachen über Eselsohren in ihren
Poesiealben bis hin zu Lügengeschichten an ihre Klassenkameraden.
"Was weißt du schon von Science Fiction", versuchte Niklas
abzulenken.
"Ihr bleibt auf jeden Fall schön hier", stellte Mrs. Edlund
noch einmal klar. "Es gibt nichts, was ihr nicht auch hier spielen
könntet. Noch etwas Ei, Vincent, mein Spatz?"
Die Jungs rannten nach dem Abendessen hinauf in Niklas' Zimmer und machten
mit Nachdruck die Tür hinter sich zu. Das galt Tina, die einem Reflex
gleich mitaufgesprungen und ein paar Schritte Richtung Treppe gelaufen
war. Aber ihre Mutter bremste sie. "Laß lieber, Tinaschatz.
Du weißt doch, wie unausstehlich sie sind, wenn sie zusammen spielen
wollen. Bleib lieber hier unten bei uns!"
Die Jungs blieben für den Rest des Abends in Niklas' Zimmer und gingen
seine Sammelkarten mit Magiern und Kriegern und Elfen durch. Sie widmeten
sich dabei nur halbherzig dem Spiel und machten immer wieder Vorschläge,
wie man sich der elterlichen Kontrolle entziehen könnte. Wie Niklas
in der Nacht aus dem Fenster klettern könnte, um sich zu den Van
Mason's zu schleichen. Wie er zur Tarnung eine Art Puppe von sich selbst
in seinem Bett bauen könnte. Wie er das Bettlaken als Kletterseil
benutzen könnte.
Dann war es zehn Uhr und Mr. Edlund erschien in der Zimmertür. "Jungs,
es ist Zeit! Kommt, ich bring euch nach Haus."
Leise verabschiedeten sich Sniv und Jason von ihrem Freund mit der stillen
Gewißheit, daß Niklas die abenteuerlichen Fluchtpläne
doch nicht wahrmachen würde.
Als das Geräusch
von Mr. Edlund's Auto verklungen war, legte sich eine eigenartige Stille
über das Haus der Van Masons. Obwohl die Jungs auch allein waren,
wenn ihre Mutter arbeitete oder etwas erledigte, war dies eine viel verlassenere
und leerere Stille, als ob das Haus den Atem angehalten habe. Sniv und
Jason sahen sich an. Die großen Augen seines kleinen Bruders funkelten
seltsam feucht, so daß Jason schon befürchtete, Sniv begänne
zu weinen.
"Was meinst du?" raunte Sniv verschwörerisch, "sehen
wir uns jetzt eine Menge Schund im Nachtprogramm an?"
Jason's Gesichtsausdruck wandelte sich von Erstaunen zu einem glühenden,
unfugbereiten Lächeln.
Etwas später hatten sich die beiden auf den Sofas im Wohnzimmer kleine
Nester aus ihren Bettdecken und Kissen gebaut und ihre Schlafanzüge
angezogen. Wie selbstverständlich hatte Jason das Kommando über
die Fernbedienung ergriffen und zappte die Kanäle durch. Lahme Krimis,
politisches Gelaber und Cary Grant und Audrey Hepburn beim Küssen
fanden keine Gnade vor seinem Daumen. Erst als das unverwechselbare hysterische
Frauenkreischen eines Horrorfilms erschallte, hielt er inne und starrte
mit leuchtenden Augen auf die hektischen Fernsehbilder. Endlich! Für
Kinder völlig ungeeigneter Mist! Und niemand rief, das ist nichts
für euch, schaltet den Schund aus!

Glucksend kuschelte
sich Vincent in sein Bettzeugnest und schaute unbekannten Darstellern
bei vergeblichen Versuchen zu, sich vor einem grunzenden Ungetüm
in Sicherheit zu bringen. Jason drehte den Ton lauter als sonst erlaubt,
so daß sich das Wohnzimmer mit Gepolter und Geschrei füllte.
Ein kernig aussehender Mann, offenbar der Hauptdarsteller, bemühte
sich, Frauen und Kinder in Sicherheit zu bringen. "Sie müssen
es schaffen!" dröhnte er immer wieder, und: "Gott, nun
reißen Sie sich doch zusammen!" Dann krachte und splitterte
irgendwas und das Ungetüm war durch den Lüftungsschacht gekommen.
Ein Nebendarsteller mit Brille starrte schreckgeweitet in die Kamera,
dann traf ihn irgendwas und eine knallrote Blutfontäne spritzte ins
Bild. Unweigerlich schaute Jason sich um nach seinem kleinen Bruder. Der
lag eingerollt in seinem Nest, den Daumen halb zwischen den Lippen und
starrte regungslos auf das flimmernde Gemetzel. Dann bemerkte er den kontrollierenden
Blick seines Bruders.
"Ich weiß, daß das nicht echt ist", beteuerte Sniv
ungefragt.
"Wir können auch einen Kriegsfilm suchen", bot Jason an.
Sniv blickte unwillig, den Daumen immer noch halb zwischen den Lippen.
"Neee, das ist doch Kinderkram!" Sein Bruder hielt ihn mal wieder
für ein halbes Baby. Sniv war wild entschlossen, nur den wirklich
üblen Schund zu sehen, alles andere war jetzt vertane Zeit.
Obwohl er skeptisch war, beließ es Jason bei dem Horrorfilm. Immerhin
kam die Handlung jetzt etwas zur Ruhe. Der kernige Mann hatte die Frauen
und Kinder in ein Auto gestopft, das nach den üblichen Startproblemen
und dem grunzenden Ungetüm an der Fensterscheibe endlich jaulend
und schleudernd auf die einsame Landstraße fuhr. Die Frau auf dem
Beifahrersitz - garantiert die Hauptdarstellerin - kuschelte sich an die
breite Brust des Hauptdarstellers und seufzte verliebt. Die beiden Jungs
vor dem Fernseher spürten das drohende Unheil. Tatsächlich,
als der Hauptdarsteller an der nächsten einsamen Tankstelle mit einem
dicken, trotteligen Polizisten telefoniert hatte, schaute er der Hauptdarstellerin
tief in die Augen. Und dann küßten sie sich.
"Oh, nein", kreischte Sniv, "natürlich wieder Geknutsche!"
"Uhhhhhh", jaulte Jason angeödet, ließ sich zurück
in sein Nest plumpsen und steckte sein Gesicht in die Kissen. "Ich
kann's nicht ansehen!"
"Das ist soooo bescheuert", lamentierte Sniv und patschte sich
auf die Stirn, "die haben gerade die dicksten Kotzszenen erlebt und
fünf Minuten später knutschen sie schon wieder! Das macht doch
kein Mensch!"
Jason schüttelte andeutungsweise den Kopf, die Nase immer noch im
Kissen vergraben. "Der Film ist echter Mist."
Glücklicherweise kam bald wieder Stimmung auf, denn das Ungetüm
hatte sich im Auto des ahnungslosen, trotteligen Polizisten versteckt.
Dem Drehbuch gehorchend, machte es sich aber nicht über ihn her sondern
ließ sich brav zu dem schäbigen Motel fahren, wo die Hauptdarsteller
versammelt waren und der Dinge harrten. Das erste Opfer war die schlampige
Portiersfrau. Jubelnd sprangen die Jungs auf. "Die häßliche
Schachtel hat's erwischt!" Übermütig hüpfte Sniv auf
seinem Sofa, daß die Federung ächzte.
"Hey, hör auf, das Sofa kracht zusammen!" rief Jason.
"Das - ist mir - scheiß - egal!" sagte Sniv im Rhythmus
seines Hüpfens in einem hohen Sing-Sang.
Jason nahm die Provokation an und stürzte sich auf seinen Bruder.
Zusammen landeten sie in Sniv's Bettzeug und begannen sich zu balgen.
Für eine Weile vergaßen sie völlig den Film und tobten
sich aus. Als sich Sniv befreien konnte, sprang er mit einem Satz über
die Rückenlehne seines Sofas und rannte ins Eßzimmer. Wie von
der Tarantel gestochen flitzte Jason hinterher, rutschte mitsamt dem kleinen
Läufer vor dem Eßtisch aus und krachte in die Stühle.
Unentschlossen, ob sich sein Bruder nun wehgetan habe oder nicht, tänzelte
Sniv provokant auf und ab und säuselte: "Bist du tot oder nur
schwerverletzt?" Ohne Zögern sprang Jason wieder auf und langte
nach Sniv, der sich kreischend davonmachte. Als Sniv die Wohnzimmertür
öffnen wollte, erwischte Jason ihn und riß ihn zu Boden. Mit
pumpendem Atem schob Jason sein Gewicht auf Sniv's Bauch und hielt seine
Handgelenke. Eine Weile schnappten beide nur nach Luft.
"Gibst du auf?" fragte Jason.
Entkräftet sah Vincent ihn aus halb geschlossenen Augen an. Ein paar
lockige Haarsträhnen klebten ihm verschwitzt auf der Stirn, die Wangen
waren rot wie Himbeeren und die Lippen schienen im heftigen Herzschlag
zu pulsieren. Durch den Schlafanzugstoff hindurch fühlte Jason die
Körperwärme von der schmalen Brust seines Bruders aufsteigen.
"Wieso soll ich aufgeben? Ich hab Zeit." Die Anspannung wich
aus Sniv's Handgelenken, er schien es sich unter Jason's Körpergewicht
bequem zu machen.
"Wir verpassen das Ende vom Film."
Der Lärm des Fernsehers drängte sich wieder in die Aufmerksamkeit
der beiden Jungs, und nach einigem Zögern standen sie auf und kletterten
zurück in ihre Nester aus Bettzeug. Jason schaute noch einmal verstohlen
zu Sniv. Irgendwie wäre es ihm lieber gewesen, sie hätten den
Film einfach ausgeschaltet und noch ein bißchen mehr herumgetobt.
Seine Bettdecke kam ihm irgendwie zu warm vor.
Die Hauptdarsteller waren bereits mitten im Showdown. Das schäbige
Motel stand in Flammen, der kernige Mann zerrte Frauen und Kinder ins
Freie, haarscharf bevor brennende Dachbalken herunterstürzten. Dann,
beim Versuch sich selbst zu retten, stellte sich ihm das Ungetüm
in den Weg. Bange Momente und viel drohendes Gegrunze. Dem Ungetüm
gelang es noch, den Hauptdarsteller am Arm zu verletzen, bevor der aber
in dem brennenden Chaos die Pistole des offenbar inzwischen toten Polizisten
fand und auf das Ungetüm schoß. Das bekam ein paar ekelige
Beschädigungen und fiel in das Feuer und platzte mit einer Stichflamme
auseinander. Der kernige Mann rettete sich in letzter Sekunde ins Freie
und landete direkt in den Armen der Hauptdarstellerin. Zum dramatisch
aufspielenden Orchester küssten sie sich vor der Kulisse der lodernden
Flammen.
Jason rümpfte die Nase. "Warum kommt da eigentlich nie die Feuerwehr?"
Er drehte sich um zu Sniv. "Bist du nicht auch müde?"
Der kleine Bruder schaute selbst etwas ermattet aber trotzdem ungläubig.
"Willst du schon schlafengehen?" Sein gemütliches Nest
hatte ihn in den letzten Minuten tatsächlich gehörig eingelullt,
aber Jason's Absicht, mal wieder zu bestimmen, wann er ins Bett gehen
sollte, machte ihn trotzig. "Wollen wir nicht jetzt einen Kriegsfilm
sehen?"
Widerwillig griff sich Jason die Fernbedienung und schaltete die Programme
durch. Es stimmte ja, sie wollten die Gelegenheit richtig lange aufzubleiben
auch nutzen, aber sie wurden einfach aus Gewohnheit um diese Zeit müde.
Allerdings zeigten jetzt alle Kanäle nur ödes Zeug. Nichts gefiel
den Jungs. Mit einem Seufzer schaltete Jason ab.
"Wir können auch morgen noch die ganze Nacht glotzen."
Sniv wirkte müde und gab nach. "Okay."
Die ersten Minuten
in seinem vertrauten Bett hatten auf Sniv die gewohnte narkotisierende
Wirkung. Die beiden Jungs hatten sich den Tag über ja auch fast bis
zur Erschöpfung ausgetobt, so daß Sniv's Augen dankbar zufielen.
Die Bettdecke fast bis zur Nase gezogen, versank er in tiefer, stiller
Schwärze.
In der ersten Zeit nach dem Einschlafen klangen in Sniv's Kopf immer die
Eindrücke des Tages noch etwas nach bis er dann in den traumlosen
Tiefschlaf fiel. Da murmelte Jason's Stimme noch etwas von den Fluchtplänen
für Niklas, und das vertraute Gesicht von Mr. Edlund sah ihm prüfend
ins Gewissen. Noch einmal saß er in der Ecke von Niklas' Zimmer
und hörte den Nachbarsjungen und seinen Bruder über nervige
Eltern reden. Die Zeit schien zu verstreichen, während er den beiden
zuhörte. Und dann war da noch die Tür von seinem Kleiderschrank,
die er aus irgendeinem Grund zuhalten musste. Denn dahinter war etwas,
das sich Zugang zu seinem Zimmer verschaffen wollte. Sniv wußte
doch, daß er sich gegen die Tür stemmen konnte, wenn es sein
mußte die ganze Nacht lang. Aber irgendwie konnte er sich nicht
bewegen, er war unfähig, seine Beine zu rühren und zum Schrank
zu gehen. Ein halb erstickter Laut kam aus dem Schrank, die Stimme des
Ungetüms!
Sniv hob seinen Kopf aus dem Kissen und sah um sich herum nur Schwärze.
Ganz deutlich spürte er die Gefahr, die von seinem Schrank ausging,
und endlich konnte er sich bewegen. Er dachte zuerst an Weglaufen aber
dann griff er blind nach seiner Nachttischlampe. Ihr Lichtschein tat in
seinen Augen weh, holte ihn schmerzhaft zurück in die Gegenwart,
in sein stilles, nächtliches Kinderzimmer. Obwohl sein Kleiderschrank
aussah wie immer und daraus absolut nichts zu hören war, blieb eine
mißtrauische Angst in Sniv's Knochen stecken. Von seinem pochenden
Herz angetrieben, schlug er die Bettdecke zurück und stand auf. Etwas
schwindelig schlich er zur Zimmertür, versuchte, sie lautlos zu öffnen
und tastete im Halbdunkel des Flures nach der Türklinke zum Nachbarzimmer.
Jason war noch nicht richtig eingeschlafen. Wie so oft hatte er im Dunkeln
liegend noch schwere Gedanken gewälzt, für die er sonst nie
bei Tageslicht genug Zeit oder die richtige Ruhe zu haben schien. Jedenfalls
konnte er außerhalb seines Betts und bei Beleuchtung nicht über
diese wichtigen Dinge nachdenken, sie kamen ihm einfach gar nicht in den
Sinn. Daß plötzlich die Tür aufging, ließ ihn auffahren.
Die kleine, dünne Gestalt mit dem Lockenkopf, die da in seiner Tür
stand, war schnell als sein Bruder identifiziert. Er schien in dem dunklen
Zimmer nichts sehen zu können und hielt sich unsicher am Türgriff
fest.
"Was ist denn?" maulte Jason im üblichen weißt-du-wie-spät-es-ist-Ton.
"Jason?" fragte Vincent's Kinderstimme ziemlich belegt und kleinlaut.
"Was ist? Kannst du nicht schlafen?" fragte Jason eine Idee
zu schroff.
Die schattenhafte Jungengestalt in der Tür ließ ihren Kopf
hängen und blieb eine Weile lang unschlüssig still. Dann sagte
sie sehr leise: "Nichts. Laß nur", und schloß zögerlich
die Tür.
Jason ließ sich zurück ins Kissen sinken. Irgendetwas stimmte
mit seinem Bruder nicht. Neben dem üblichen Gefühl, ein bißchen
für Sniv verantwortlich zu sein, spürte er nun auch noch, daß
er ihn in seinem Kummer nicht alleinlassen konnte. Mit einem Seufzer schwang
sich Jason aus dem Bett und tastete sich im Dunkeln zur Tür.
In Sniv's Zimmer war es hell. Der kleine Bruder saß auf der Bettkante
und sah drein, als habe er Bauchschmerzen. Sein Gesicht war blaß,
Stirn und Wangen glänzten. Er schaute betreten auf zu Jason, als
käme er sich irgendwie schuldig vor.
"Ist
dir schlecht? Oder hast du etwa ins Bett gemacht?" Aus lauter Gewohnheit
sprach Jason ziemlich gefühllos.
"Neiiiin", maulte Sniv. Das Bett naßgemacht hatte er schon
seit Jahren nicht mehr, und daß sein Bruder ihn nun trotzdem verdächtigte,
kränkte ihn. "Ich hab nur 'was Blödes geträumt."
Jason kapierte. Der Horrorfilm hatte sich doch unweigerlich in Sniv's
unschuldiges Gemüt geschlichen. Für einen Moment war er versucht,
höhnisch darauf zu reagieren, dann tat ihm Sniv aber einfach nur
leid. Er überlegte, was seine Mutter nun tun würde. "Soll
ich die Tür offenlassen, ich meine, von deinem Zimmer und von meinem?"
Sniv sah seinen großen Bruder sehnsuchtsvoll an. "Jaaason,
kannst du nicht hierbleiben?" Er deutete mit einem kurzen Blick auf
das zweite Bett in seinem Zimmer. Die beiden Betten waren die obere und
die untere Hälfte eines Etagenbetts, daß sich die Brüder
einmal geteilt hatten - vor Jahren, als sich in Jason's heutigem Zimmer
noch die Aktenordner ihres Vaters gestapelt hatten. "Wir haben doch
früher auch im selben Zimmer geschlafen."
Jason stand regungslos in seinem eingelaufenen, zu kurzen Pyjama und schaute
auf sein altes Bett. Es kam ihm immer noch so vertraut vor wie ein altes
Lieblingsspielzeug, das er zwar nicht mehr benutzte, aber auch niemals
weggeben würde. Dann sah er wieder zu Sniv.
Sein kleiner Bruder setzte sein Bettelgesicht auf, das immer eine absolut
unfaire Wirkung auf seine Mutter hatte. "Bitte!"
Ausnahmsweise wirkte das Bettelgesicht auch auf Jason. Er wurde weich.
Und außerdem waren sie ja allein, niemand bekam mit, wie sich Jason
breitschlagen ließ. "Okay."
Sniv's Gesicht begann zu strahlen. "Cool!"
Jason wollte sich umwenden und sein Bettzeug holen, da hielt er inne.
Prüfend sah er in Sniv's leuchtendes Gesicht. "Wäre es
nicht noch cooler, wenn wir die Betten wie früher aufeinanderstellen?"
Für einen Augenblick wirkte Sniv ratlos. "Können wir das
denn? Ist das nicht zu schwer?"
"Nicht wenn wir die Matratze vorher runternehmen."
Ohne weitere Diskussion machten sich die beiden Jungs an dem Bett zu schaffen,
nahmen die Matratze ab, stöberten nach den erforderlichen Zwischenstücken
und hievten schließlich das Bettgestell hinauf auf seine angestammte
Position. Übermütig kletterte Sniv auf das kahle Gestell und
probierte die Aussicht von da oben.
"Ich schlafe da oben", beschwerte sich Jason, "wie immer!"
Er bückte sich nach der Matratze. "Los, faß mit an!"
Nach einigem mühseligen Bettenbauen war der Schlafplatz endlich komplett,
einschließlich Jason's Bettzeug. Die alberne Leiter, die ursprünglich
zu dem Etagenbett gehörte, hatten die Jungs schon vor Jahren zweckentfremdet
und sie mochte jetzt irgendwo im Keller liegen. Mit ein paar geübten
Bewegungen turnte Jason am Bettgestell hinauf in seine Etage. "Licht
aus!" tönte er und zog sich die Bettdecke über.
Sniv schaute noch einmal kurz aus seinem Bett hervor und langte dann nach
dem Schalter seiner Nachttischlampe. Die folgende Dunkelheit in seinem
Zimmer wirkte völlig anders als sonst. Obwohl die beiden Jungs vollkommen
still waren, ja sogar den Atem anhielten, schien sich die Schwärze
vor ihren Augen zu bewegen, zu atmen, zu leben - im Gegensatz zu der dumpfen
Totenstille wenn sie allein in ihren Betten waren. Regungslos verharrten
die Brüder.
Es war Sniv, der zuerst lachen mußte. Erst halb erstickt dann prustend
kicherte er in die Stille hinein.
"Du sollst schlafen", sagte Jason mit einer Stimme, die ermahnend
klingen sollte, sich aber von Sniv's Gekicher anstecken ließ.
"Ich kann jetzt aber nicht, ich bin überhaupt nicht mehr müde."
Die Bettenbauaktion hatte Sniv wieder hellwach gemacht, außerdem
hatte er ja schon einen kurzen Schlaf gehabt.
Jason hörte, wie sich sein kleiner Bruder strampelnd von der Bettdecke
befreite, daß das ganze Bett leicht wankte, und dann unruhig atmend
liegen blieb. Jason drehte sich auf seinen Bauch und horchte mit einem
Ohr in sein Kissen. Fast war ihm, als könne er Sniv's Herzschlag
hören, übertragen durch das Gestell und die Matratze, so wie
er auch die kleinste Bewegung seines Bruders durch winzige Schwankungen
des Bettes mitbekam. Dies wieder zu spüren, gab ihm ein warmes Gefühl
von Vertrautheit und Erinnerung, und verwundert bemerkte er, daß
er es vermißt hatte. Er seufzte tief und feucht in sein Kopfkissen
und hörte sich dann leise fragen: "Sollen wir Geschichten erzählen,
wie früher?"
Einen Moment blieb Sniv regungslos, dann kicherte er - irgendwie triumpfierend,
wie es Jason erschien. "Ja, fang an!" Sniv kuschelte sich wieder
etwas tiefer in sein Bett.
Die Jungs hatten sich früher oft noch vor dem Einschlafen laut ausgemalt,
wie sie Abenteuer bestehen würden, wenn sie die Helden aus ihren
Lieblingssendungen im Fernsehen wären. Jason würde mit seinem
Superauto, das auch fliegen kann, nicht nur sämtliche Rennen gewinnen,
sondern auch bis auf den Grund der Karibik tauchen und nach versunkenen
Piratenschiffen suchen. Sniv wäre am liebsten ein Geist, der durch
alle Wände fliegen könnte und den Leuten irrwitzige Streiche
spielt und natürlich beim Basketball einen Slam Dunk nach dem anderen
versenkt. Diese Spinnereien hatten sie oft unmerklich hinein in ihre Träume
begleitet.
Jason fing an: "Was würdest du tun, wenn du drei Wünsche
hättest?"
"Haha, ich würde mir wünschen, unendlich viele Wünsche
zu haben!"
"Nein, das zählt nicht. Auch nicht, daß du zaubern könntest
oder so einen Quatsch. Nur etwas, was es wirklich gibt."
"Oh, das ist aber langweilig. Ewig leben geht dann ja auch nicht."
"Nein. Aber wieso langweilig? Dann mußt du dir es wenigstens
gut überlegen."
"Ja." Sniv überlegte. Ganz leicht war sein Atemzug durch
die Nase zu hören. "Och Mann, das ist doch doof! Ich bräuchte
mich doch nur superreich zu wünschen, schon könnte ich mir alles
kaufen, was es gibt, und bräuchte mir nichts mehr zu wünschen."
Jason stöhnte. "Na schön, also was würdest du dir
wünschen, was es nicht wirklich gibt? Außer noch mehr Wünsche
und das Zaubern."
"Hm, ein Superheld zu sein, der sogar in den Weltraum fliegen und
andere Planeten erforschen kann."
"Cool. Und Außerirdische besuchen!"
"Jaaa! Außerirdische! Aber nicht so fiese Aliens, nur welche,
mit denen man auch reden kann."
"Ferengi und Vulkanier!"
"Ja, aber nicht die Klingonen, die sind doof."
Eine Weile schwiegen die beiden und malten sich aus, wie sie Außerirdische
treffen. Dann sagte Sniv: "Jetzt du! Was würdest du dir wünschen?"
Jason zögerte eine ganze Weile, dann flüsterte er fast: "Ich
würde mir wünschen, daß die Zeit stehenbleibt. Ich meine,
nicht richtig stehenbleibt, aber daß wir nicht älter werden
und daß immer Ferien sind."
"Häh? Ferien ist okay, aber warum nicht älter werden?"
"Es ist so gut, wie es jetzt ist. Ich will gar keinen Beruf haben,
ich will nicht so werden wie die Erwachsenen. Und du und meine Freunde
sollt auch nicht älter werden."
Sniv gefiel der Gedanke, ewig der kleine Bruder zu sein, nicht besonders.
"Aber du dürftest dann niemals Auto fahren. Und immer nur das
bißchen Taschengeld!"
"Ich weiß.... ich würde mir dann eben ein geheimes Superauto
wünschen, von dem keiner weiß, daß ich es habe. Und wozu
brauche ich dann noch Geld?"
"Aber wenn du dir das wünschst, daß wir alle nicht älter
werden, dann gilt das ja auch für mich."
Jason drehte sich auf die Seite. "Willst du denn erwachsen werden?
Die ganze Schule machen? Die ganzen Prüfungen? Nur um dann noch viel
mehr zu arbeiten und nie wieder richtig Sommerferien zu haben?"
"Nö. Ich werde doch Superheld. Da muß ich doch nicht arbeiten."
"Nein, jetzt mal in echt! Gefällt dir das, erwachsen zu werden?"
Sniv schwieg eine Weile ratlos. "Weiß nicht."
"Dir gefällt es doch, wenn wir zusammen in einem Zimmer schlafen.
Ich meine, wenn jeder sein eigenes Zimmer hat, das ist okay, aber in der
Nacht macht es mehr Spaß so, oder?"
"Hmh."
"Wären wir aber erwachsen, würden wir gar nicht mal daran
denken." Jason horchte in die Dunkelheit. Von seinem kleinen Bruder
war nichts mehr zu vernehmen. "Schläfst du?"
Angespannte Stille, dann ein Kichern. "Nö."
Jason merkte, daß seinem Bruder das Thema irgendwie nicht gefiel.
Er setzte sich im Bett auf und beugte sich dann hinunter über die
Bettkante, so daß er schemenhaft Sniv's Lockenkopf erkennen konnte.
Das Blut schoß ihm in den Kopf und machte das Atmen schwer. "Weißt
du, was Erwachsene auch nie machen?"
Sniv zog sich kieksend zusammen. Der Tonfall in Jason's Stimme kündigte
schon an, daß er etwas anstellen wollte. Mit einer Art Rolle abwärts
schwang er sich hinunter in Sniv's Bettetage, wie er es früher auch
oft gemacht hatte. Sniv setzte sich auf und räumte bereitwillig etwas
Platz frei. Es schien ihm ganz recht zu sein, daß sein Bruder wie
in alten Zeiten einen Besuch abstattete, der für gewöhnlich
in eine kleine Rauferei oder eine Kissenschlacht mündete. Jason blieb
allerdings erst einmal ruhig auf der Bettdecke sitzen und schien abzuwarten.
"Was willst du?" fragte der kleine Bruder, das Unschuldslamm
mimend.
Jason genoß den Augenblick. Sein kleiner Bruder wußte genau,
worum es bei diesem Spiel ging, und machte dabei mit, wie nur Kinder ein
Spiel mitmachen konnten. Ohne Vorwarnung stürzte er sich auf Sniv's
dünne Gestalt und begann, den quietschenden und kreischenden Jungen
an allen Gliedern, die er zu fassen bekam, spielerisch zu kneifen. Als
er dabei auch Sniv's Pobacken erwischte, verschluckte der kleine Bruder
sich. Unentschlossen mußte Sniv sowohl husten als auch lachen. Jason
ließ lieber ab von ihm, damit er sich wieder beruhigte. Langsam
bekam Sniv wieder Luft. "Arschkneifen ist unfair!" japste er
und mußte gleich über diese Bemerkung lachen.
"Geh dich doch beschweren! Ruf die Polizei an und sag, Arschkneifen
ist unfair!" Die beiden Jungs platzten bei diesem Gedanken fast vor
lachen. Jason verlor darüber aber sein Ziel nicht aus den Augen.
Gezielt langte er jetzt nach Sniv's kleinem Po, der verzweifelt von kleinen
Händen verteidigt wurde.

"Hilfe, hilfe,
ich werd arschgekniffen!" rief Sniv halblaut und konnte kaum noch
vor lachen. Schließlich kam er so aus der Puste, daß er jede
Gegenwehr fallen ließ und Jason ihm ungehindert den Hintern zwickte.
Mit Sniv's leiser werdenden Leidensseufzern ließ auch die Kraft
nach, mit der der große Bruder zulangte, bis er ganz abließ.
"Ich wette, dein Po ist jetzt so heiß, der müsste eigentlich
glühen", sagte Jason im Dunkeln. Von der Rauferei war es in
dem engen Bett gehörig warm geworden. Die angeheizte Körperwärme
der beiden Jungen vermengte sich zu einer Luft wie im Treibhaus.
Sniv sammelte seine Kräfte. Jason wußte ganz genau, daß
sein Bruder sich jetzt "rächen" würde, das gehörte
einfach zum Spiel. Und Jason spielte dieses Spiel mit, indem er die Rache
weitgehend wehrlos über sich ergehen ließ. Sniv warf sich über
die Schulter seines Bruders, so daß er seinen Bauch von hinten umfassen
konnte und drückte Jason tiefer ins Bettzeug. Dann schob er seinen
Körper weiter Jason's Rücken hinunter, um ihn mit seinem Körpergewicht
unten zu halten. Sein Kinn berührte den Streifen warmer Haut von
Jason's Rücken, den sein alter Schlafanzug zwischen Hose und Trikot
immer frei ließ. Im Dunkeln konnte er gerade noch erkennen, wo der
Gummizug von Jason's Schlafanzughose verlief und die kleine, dreieckige
Vertiefung zwischen dem Ansatz seiner Pobacken saß. Wenn Jason sonst
nach Seife roch, ging von dieser Vertiefung ein ganz eigentümlicher,
gar nicht unangenehmer Duft aus, ganz eigener Jason-Duft. Instinktiv fing
Sniv an, in diese dreieckige Öffnung zwischen Hosensaum und Pobacken
zu pusten. Eine kurze Bewegung ging durch Jason's Körper und gedämpft
kicherte er in die Bettdecke.
"Was machst du da?" nuschelte Jason undeutlich.
Sniv gluckste lustvoll. "Nachschauen, ob du dir auch ordentlich den
Hintern abwischst. Das riecht da nämlich schon."
"Gar nicht wahr! Das ist dein durchgekneteter Hintern, der da so
riecht."
Sniv schlug mit der flachen Hand auf die beiden Fleischbacken, die da
in der Schlafanzughose vor seiner Nase steckten. "Und gleich hast
du einen durchgeklatschten Hintern", und er begann, mit beiden Händen
auf Jason's Po zu trommeln. Das ließ sich der große Bruder
eine Weile gefallen und wälzte sich dann zur Seite, so daß
Sniv von seinem Rücken runterrutschte. Der kleine Bruder fürchtete
nun, Jason würde zurückschlagen, und sprang aus dem Bett, atemlos
rufend: "Tu mir nichts! Tu mir nichts!"
Jason sprang ebenfalls aus dem Bett und hörte im nächsten Augenblick
ein Poltern und ein schmerzhaftes Wimmern. Sniv hatte sich im Dunkeln
an einem Möbelstück gestoßen.
Ein tränenfeuchtes Schluchzen ertönte. "Dieser verdammte
Schreibtisch!"
"Was ist?" fragte Jason, der nur Schatten erkennen konnte, aber
nicht seinen Bruder.
Gebeugt kam die schmale, lockenköpfige Gestalt Vincent's hervor und
machte einen humpelnden Schritt. "Mein Fuß! Das tut so verdammt
weh!" Wäre seine Mutter in der Nähe gewesen, hätte
er wohl steinerweichend geheult, aber von seinem Bruder wußte er,
daß er nicht viel Trost erwarten konnte.
"Ist was gebrochen?" Jason rechnete mit dem Schlimmsten.
"Neeeiiin, ich hab mich da schon öfter dran gestoßen.
Das tut immer beschissen weh!"
Jason sagte: "Komm lieber zurück ins Bett", obwohl sich
Sniv sowieso schon dazu anschickte. Jason setzte sich auf die Bettkante
und wartete, was der lockenköpfige Schemen machte. Sniv stieg in
sein Bett zurück und hielt sich wimmernd den Fuß.
Jason's Stimme war unerwartet mitfühlend: "Soll ich dich trösten?"
Sniv schniefte kurz. "Wie willst du das denn machen?"
Der große Bruder konnte selbst kaum glauben, daß er dies wirklich
gesagt hatte. Aber irgendwie hatte er diese Nacht so ein Gefühl,
daß auch er seinen Bruder trösten könnte, wie es ihre
Mutter sonst tat. Mit belegter Stimme sagte er: "In den Arm nehmen."
Eine
ganze Weile herrschte ungläubige Stille. Sniv war sich nicht sicher,
was Jason plötzlich dazu trieb, Mutter und Kind zu spielen. Dann
spürte er im Dunkeln, wie vorsichtig die Arme seines Bruders seinen
Oberkörper umfaßten. Jason tat dies mit einer so ungewohnten
mitfühlenden Zärtlichkeit, daß Sniv's Tränen nun
wirklich ungehindert freien Lauf nahmen. Sie stiegen unwillkürlich
in seiner Brust auf, sammelten sich in seiner Kehle und rollten dann die
Wangen hinunter. Aber es tat gut. Sniv schluckte.
Die beiden legten sich zurück und streckten sich aus. Jason umfaßte
Sniv noch tiefer und enger und drückte ihn leicht an sich. Der kleine
Lockenkopf seufzte tief.
Ohne noch ein Wort zu sagen oder sich zu rühren, blieben die Brüder
in Sniv's Bett liegen. Mit wachen Augen sog Jason alle Eindrücke
tief in sich auf. Da war die schmale Brust unter seinen Händen, die
sich langsam hob und senkte. Die Schultern und die Schulterblätter
und der Rücken, der sich warm durchdrungen an ihn lehnte. Die braunen,
kurzen Locken vor seiner Nasenspitze, denen noch ein Hauch von Schaumbad
anhaftete. Die leisen Atemzüge, die zu Sniv's kleiner, stupsiger
Nase gehörten. Jason war sich sicher, daß Sniv schon halb eingeschlafen
war.
Jason erinnerte sich an die Augenblicke, in denen er eifersüchtig
auf Sniv war und in denen ihm der kleine Bruder unerträglich erschien.
Wenn er es wieder geschafft hatte, alle Schuld auf den großen Bruder
zu schieben, und niemals bestraft sondern immer nur getröstet zu
werden. Er hatte sich gewünscht, sein Vater würde Sniv abholen
und fortan den Hosenboden strammziehen. Dieser Gedanke tat ihm nun im
Herzen weh. Wie gemein dieser Wunsch von ihm war! Nein, soviel stand fest:
Ein Leben ohne seinen kleinen Bruder wollte er sich nicht mehr vorstellen.
Mit seiner Nasenspitze fuhr Jason das Lockenhaar hinunter, bis er auf
die warme, zarte Haut von Vincent's Nacken stieß und gab dieser
Haut einen feuchten, zärtlichen Kuß. Sniv bewegte sich ganz
leicht im Schlaf, machte mit Lippen und Zunge ein paare leise, schnalzende
Geräusche, um dann wieder tief und gleichmäßig zu atmen.
Ohne seinen Bruder aufzuwecken, schlüpfte Jason aus dem unteren Bett
und stieg vorsichtig hinauf in seine Etage, ohne zu wackeln und ohne Geräusche.
So wie früher.

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